Klientin E. 63 J. Sexuelle Unlust und Probleme in der Ehe.
Als Jugendliche erlebt, wie ihre Schwester Magersucht hat und dadurch die komplette Aufmerksamkeit auf sich „zieht“. Die Klientin wünscht sich nur, dass beim gemeinsamen Essen am Tisch alles normal verläuft, sie wünscht sich keine Tränen mehr usw. Die Mutter wurde als ständig traurig erlebt, jammernd. Für sie war keiner da, die wichtigsten Bindungspersonen waren nicht erreichbar, keiner hat sie mit ihren Nöten und Bedürfnissen gesehen. Das Mädchen wusste nicht, sich zu helfen, hat sich zurückgezogen.
Hier war es für das Kind viel zu unsicher, es musste sich selbst halten, um emotional zu überleben. Unsichere Bindung, wo die wichtigsten Bindungspersonen nicht erreichbar sind. Das Kind gibt auf, es nimmt an ihm ohnehin keiner groß teil, verdrängt eigene Bedürfnisse. Viele Gefühle wie Wut, Traurigkeit, Einsamkeit wurden verdrängt. Das Kind musste überleben, hat sich einen „Panzer angeschafft“, wo so gut wie keine Gefühle durchdrangen, und viel Sport gemacht (Selbstbewältigung der verdrängten, schlimmen Gefühle; Überlebensmechanismus).
Die „Eiserne Lady“ musste funktionieren und kämpfen. Auch in der Ehe (wie in der Ursprungsfamilie) wurde kaum über Gefühle, Sexualität und Bedürfnisse gesprochen, was leider zu Treue-Problemen immer wieder führte. Dazu kamen Schuld und Scham über die eigene Unlust und daraus resultierenden Schwierigkeiten mit dem Ehemann.
Dem Mädchen damals wurde es nicht bewusst (wie denn auch?), was es für Konsequenzen hat. Das können Kinder und sogar viele Erwachsene einfach nicht wissen. Eine unsichere Bindung traumatisiert, sie hinterlässt ihre hässlichen Spuren im Leben von so vielen Menschen, denen es gar nicht bewusst ist, dass es ein Trauma war. Nicht jedes Trauma ist laut und groß. Manche sind klein, aber stetig. Und beide wirken im Inneren der Menschen, im Unbewussten.
In einem Prozess, als ich mit einer emphatischen sanften Stimme sagte, dass ich mir vorstellen kann, wie das Mädchen sich fühlt, wenn für sie keiner da ist, wenn alle mit den Problemen der Schwester beschäftigt sind, ständig Tränen fließen, antwortete sie mir: „Ja, auch ich habe Bedürfnisse, ich muss nicht nur funktionieren.“
Der Heilungsprozess ist noch lange nicht zu Ende. Und doch, die ersten Schritte wurden schon geschafft.
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